Fremdträumen

Anfang August war es dann soweit: Ich reiste nach Berlin. Das Landei in der großen Stadt. Natürlich war ich nervös. Nach den weniger schönen Erfahrungen, welche ich (vor Jahren) in München sammeln mußte, war es auch nicht gerade leicht, einigermaßen offen für das zu sein, zu bleiben, was kommen könnte und würde. Würde ich mit Berlin zurecht kommen? Würde Berlin mit mir zurecht kommen?

Trotz einiger Begebenheiten, die durchaus ein mulmiges Gefühl bei mir hinterließen, stand eines schon nach den ersten Tagen für mich fest: Ich möchte (zumindest für ein paar Jahre) nach Berlin, dort leben und, ja, auch arbeiten. Mit dieser Idee, die sich bis zu meiner Abreise schließlich zu einem Vorsatz entwickelte, kam ich zurück. Und das Gefühl ist noch immer da. Ein gutes Gefühl.

Natürlich wollte ich diese Idee zu meinem Vorhaben teilen, insbesondere mit den wenigen Menschen, die ich einigermaßen gut kenne, die mich recht gut kennen, und deren Meinungen für mich durchaus (ein gewisses) Gewicht haben. Dabei durfte ich erfahren, wie schwer es vielen Menschen fällt, sich in andere hineinzuversetzen, anderen zuzuhören und anzunehmen, was gerade da ist.

Vielmehr erlebte ich, wie rasch ich als Stellvertreter dienen durfte (oder mußte), nämlich für Träume und Ängste dieser Menschen. Rasch ging es in den Gesprächen gar nicht mehr um meine Pläne, meine Bedenken und Sorgen, meine Wünsche und Hoffnungen, die sich an diesen Wechsel nach Berlin knüpften und knüpfen. Und ebenso rasch merkte ich, wie wenig ich diese Menschen kenne, wie wenig sie mich kennen – und wie egal ich ihnen dem Grunde nach bin.

Vielleicht ist das, was ich in dieser Hinsicht erlebte und erlebe, ja auch ganz normales Verhalten, denn irgendwo ist die Reaktion nachvollziehbar: Dieser Freund, dieser Bekannte hat sich entschieden, ein gewisses Risiko einzugehen, hat sich entschieden, gewisse Änderungen auszulösen und zu durchleben – und er macht den Eindruck, als wäre es ihm ernst damit, als würde er das durchziehen; wäre ich an seiner Stelle, würde ich es tun, wäre ich bereit dazu?

Und so durfte ich mir, neben den dankend angenommenen Glückwünschen und den obligatorischen gut gemeinten Ratschlägen, auch viele der sehr tief verwurzelten Bedenken und Ängste derer anhören, die ich ansprach. Die Herausforderung war und ist letztlich, diese fremden Träume, diese fremden Ängste und Bedenken nicht zu meinen zu machen, nicht zu meinen werden zu lassen. Und das ist manchmal nicht leicht.

Gerade Menschen, die ich schon lange kenne, mit denen ich teilweise auch lange und intensive Beziehungen unterhielt, erkannte ich fast nicht wieder, so sehr hatten sie sich – wenn ich nach ihren Ausführungen gehe – verändert. Umgekehrt ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein sehr ähnlicher Eindruck entstanden. Man kannte sich, und dann lebte jeder sein eigenes Leben weiter.

Ich kann nicht fremdträumen. Weder möchte ich es, noch bin ich dazu in der Lage. Der Abschied von einigen Menschen wird mir, wenn ja auch nur auf Zeit, leicht fallen, ist teilweise sogar schon geschehen. Innerlich – heimlich, still und leise, über Monate und Jahre. Doch gerade dort, wo noch eine (vielleicht sogar erst kürzlich wiedererstarkte) Verbindung besteht, fällt der Gedanke an die (vor allem räumliche, aber auch sich auf die Kommunikation auswirkende) Trennung schwer.

Fremdträumen ist nicht möglich, auch nicht wünschenswert. Doch wenn man Träume, Wünsche und Hoffnungen teilt, als wären sie die eigenen, weil sie es tatsächlich (zumindest ein Stück weit) sind, dann ist der Abschied, ist die Trennung eine wirkliche Herausforderung – auch wenn man daran glauben kann und möchte, auch dem anderen einen Traum zu erfüllen, eben weil man ein Stück von ihm mit sich nehmen wird, mit sich nimmt und stets bei sich trägt.

Inzwischen sind die für mich wichtigsten Gespräche geführt. Im Oktober werde ich noch einmal nach Berlin reisen, quasi als eine Form meines ganz persönlichen Lackmustestes: Komme ich auch unter geänderten Randbedingungen mit Berlin zurecht, kommt Berlin auch mit meinem dann doch veränderten Ich zurecht? Tatsächliche Bedenken habe ich nicht, vielleicht auch aus dem Grund, daß ich die Entscheidung schon längst getroffen habe.

Es war, es ist Zeit für eine Veränderung. Diese zuletzt noch verborgene Wahrheit spreche ich inzwischen offen an und aus. Es wird nicht einfach, es wird nicht leicht, doch das war es bisher nie. Es ist einer meiner Träume, mein eigener, nicht der eines anderen Menschen, und ich möchte zumindest diesen in Erfüllung gehen lassen. Das bin ich mir selbst schuldig – und auch mindestens einem anderen Menschen, irgendwo, doch vor allen Dingen mir selbst.

Hallo Berlin.

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